saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Digitaler Katalog Egon Eiermann
Wohnhaus Matthies
1936-1937
Wohnhaus Matthies
Das kleine, von der Straße weit zurückgesetzte Gebäude galt Egon Eiermann als das am besten gelungene Wohnhaus seiner Berliner Zeit. Den Auftrag zum Bau hatte er von seinem Schulfreund Heinz Matthies und dessen Ehefrau erhalten. Sie konnten dem Architekten nur die geringe Bausumme von 10 000 Mark zur Verfügung stellen, die dieser letztlich aber um etwa 50 Prozent überschritt. Der enge Finanzrahmen auf der einen und die volle Gestaltungsfreiheit auf der anderen Seite entsprachen ganz dem Ehrgeiz Eiermanns als Architekt. Hier konnte er aus wenig viel machen, das heißt dem Auftraggeber eine günstige, aber zugleich komfortable und ästhetisch ansprechende Lösung bieten.
Die kubische Grundgestalt des Hauses lässt es von weitem gesehen streng erscheinen. Aus der Nähe betrachtet wird es jedoch durch seine unregelmäßig reliefierten Oberflächen überraschend lebendig - das plastische, nicht abgestrichene Mörtelbett des weiß geschlämmten Backsteinmauerwerks und die unregelmäßig gebrochenen Schieferplatten der Dachdeckung bilden für Eiermann typische haptische Qualitäten.
Trotz der geringen Größe des Hauses gelang es dem Architekten, das Innere fließend zu gestalten. Im Erdgeschoss ist der Übergang zwischen Wohn- und Essraum lediglich durch einen Deckenunterzug markiert. Von hier aus tritt man auf die Gartenterrasse hinaus, zugleich führt der Weg über eine türlose Treppe hinauf zum offenen Arbeitsraum im ersten Obergeschoss. Dahinter schließen sich Schlafzimmer und Bad an. Der klaren Trennung von Tages- und Nachtbereich entspricht die stringente Unterbringung der Nebenräume wie Küche, Heizkeller und Bad im niedrigeren Seitenteil des Gebäudes.
Überraschenderweise weicht Eiermann beim Haus Matthies an der Gartenseite von seiner üblichen axialen Anordnung der Fenster in der Fassade ab, was dem Haus einen eigenwilligen, intimen Charakter verleiht. Auch hier gilt, was sich für Eiermanns gestalterisches Vorgehen verallgemeinern lässt: Eine subtile proportionale Ausgewogenheit kennzeichnet den Bau bis in die sorgfältig gestalteten Einzelheiten.
Arthur Mehlstäubler
"Egon Eiermann 1904-1970. Die Kontinuität der Moderne", Hrg. Annemarie Jaeggi, Hatje Cantz: Ostfildern-Ruit, 2004, S. 127
Projektspezifische Angaben
- Egon Eiermann, Architektur
- Chen Kuen Lee, Mitarbeiter*in Eiermann
- Heinz Matthies, Bauherr*in