saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Digitaler Katalog Egon Eiermann
Siedlung der Neuen Heimat
1946-1949
Siedlung der Neuen Heimat
Als Egon Eiermann 1946 im Auftrag der Stadt Buchen die Planungen für die Siedlung am Gückelberg aufnahm, bestand großer Bedarf an neuem Wohnraum. Die Bevölkerung war seit 1939 - vor allem bedingt durch die Zuweisung von Flüchtlingen aus dem Osten - um über 60 Prozent angewachsen. Für Eiermann gestalteten sich die Ausgangsbedingungen denkbar schwierig: Es standen nur in äußerst begrenztem Umfang finanzielle Mittel zur Verfügung, hinzu kam die schlechte Lage auf dem Baumarkt. Viele Baustoffe waren streng kontingentiert, außerdem fehlte es an Transportfahrzeugen und fachkundigen Arbeitskräften.
Für die Siedlung konzipierte Eiermann ein- und zweigeschossige Typenhäuser für je fünf bis sieben Personen (Einzel- und Doppelhäuser), die trotz kleinster Abmessungen ein Höchstmaß an Wohnqualität bieten sollten. Das ursprüngliche Bauprogramm umfasste 21 Einfamilienhäuser, scheiterte allerdings Anfang 1947 am Widerstand des Buchener Stadtrates. Wegen der schlechten Baustofflage konnten von 1947 bis 1949 schließlich nur fünf Häuser realisiert werden, wobei die Neue Heimat nun als Bauherrin auftrat.
Um Kosten und Materialverbrauch niedrig zu halten, wurden die Raumhöhen stark begrenzt, die Bauten nur teilweise unterkellert und zudem mit einem flach geneigten Dach versehen. Für das aufgehende Mauerwerk kamen ungebrannte Lehmsteine zum Einsatz - ein Baustoff, der ohne Einschränkungen verfügbar war. Als Schutz gegen Feuchtigkeit diente eine Backsteinverkleidung.
Anders als etwa Otto Bartning bei seiner zeitgleich entstandenen Lehmbausiedlung in Neckarsteinach und entgegen der Auffassung konservativer Architekturkreise orientierte sich Eiermann bewusst nicht an ländlichen Vorbildern. Vielmehr versuchte er eine neue Art von Architektur zu schaffen, die zwar nicht modern auftrat, sich aber durch »Einfachheit und disziplinierte Gleichmäßigkeit« auszeichnete. So sind die Wände nicht verputzt, sondern mit einer Prüsswand verkleidet, ein Verblendsystem aus Ziegelsteinen, das Eiermann bereits mehrfach bei früheren Bauten verwendete. Anstelle von Sprossen besitzen die Fenster nur vertikale Unterteilungen und schließen bündig mit der Fassade ab. Und statt des vorgeschriebenen steilen Satteldachs entschied sich Eiermann für ein relativ flach geneigtes.
Als unkonventionell erweisen sich die Häuser auch hinsichtlich der Grundrissgestaltung. Wohn- und Essbereich sind als Gemeinschaftsräume relativ großzügig, die drei Schlafzimmer dagegen klein bemessen, womit Eiermann dem Wunsch nach einer Unterbringung der Kinder getrennt nach Geschlechtern entsprechen wollte. Statt der landläufigen Wohnküche gibt es eine Arbeitsküche, die über eine Durchreiche mit dem Essbereich verbunden ist. Das kleine Badezimmer schließt direkt an die Küche an, sodass alle Installationen kostengünstig zusammengefasst werden konnten. Da viele Neubürger noch nicht über eigene Möbel verfügten, stattete man die Wohnungen mit einfachen Einbaumöbeln nach Eiermanns Entwürfen aus.
Birgit Nelissen
"Egon Eiermann 1904-1970. Die Kontinuität der Moderne", Hrg. Annemarie Jaeggi, Hatje Cantz: Ostfildern-Ruit, 2004, S. 143f.
Projektspezifische Angaben
- Egon Eiermann und Robert Hilgers, Architekten