saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Digitaler Katalog Egon Eiermann
Taschentuchweberei Lauffenmühle KG
1949-1950, Erweiterung 1958-1962
Taschentuchweberei Lauffenmühle KG
Nachdem sich die Spinnerei Lauffenmühle für Blumberg als Standort ihres neuen Zweigbetriebs entschieden hatte, begann Egon Eiermann im Sommer 1949 mit den Planungen für die Taschentuchweberei, die auch ein Kessel- und ein Pförtnerhaus umfassten.
Ausgangspunkt bildete die Vorgabe, sehr gut und gleichmäßig belichtete Webräume mit konstant hoher Raumtemperatur und einer Luftfeuchtigkeit von mindestens 70 Prozent zu schaffen. Bewusst verzichtete Eiermann auf die im Industriebau übliche Shedbauweise, die besonders durch die strengen, schneereichen Winter im Schwarzwald zu viele Nachteile mit sich gebracht hätte. Das Produktionsgebäude konzipierte er als Hallenbau, wobei der im Obergeschoss befindliche Websaal - in Anlehnung an so genannte Dunkelfabriken amerikanischer Textilbetriebe - voll klimatisiert und künstlich belichtet wurde. Da es für Eiermann aber nicht vorstellbar war, »einen Raum ohne Verbindung zur Außenwelt zu bauen«, ordnete er auf Augenhöhe ein schmales Fensterband an.
Um die Bauzeit zu verkürzen, wurden Erd- und Obergeschoss auf unterschiedliche Weise konstruiert. Das Erdgeschoss, das Büros, Werkstätten, Vorbetriebe, Lager- und Sozialräume umfasst und durch acht Stützenreihen gegliedert wird, besteht im wesentlichen aus Betonfertigteilen und ist als Stahlbetonskelett ausgeführt. Für das Obergeschoss, das wegen der Unterbringung der Webstühle weitgehend stützenfrei sein sollte, verwendete Eiermann eine Stahlkonstruktion, die vorgefertigt und gleich nach Fertigstellung des Rohbaus montiert werden konnte. Die Außenstützen, zwischen denen die Fachwerkkonstruktion eingespannt ist, sind dabei frei vor die Fassade gestellt und durch Regenrinnen aus Stahlblech ausgesteift.
Eigenwillig präsentiert sich das zweigeschossige, 112 Meter lange und 50 Meter breite Produktionsgebäude mit den an den Stirnseiten angelagerten Treppenhäusern und dem flach geneigten Dach in seiner Außengestaltung: Im Kontrast zur stark durchfensterten und mit schwarzen Keramikplatten verkleideten Erdgeschosszone ist das Gebäude im oberen Bereich – allein unterbrochen durch das schmale Lichtband – mit weißen Wellasbestzementplatten verkleidet. Im Zusammenklang mit den hellblauen Stützen, die die Längsseiten rhythmisieren, wirkt der Bau ausgesprochen leicht, fast filigran.
Das Gebäude der Taschentuchweberei fand weithin Beachtung, besonders auf die junge Architektengeneration wirkte es wie das Fanal einer neuen Baukunst. Zum einen überzeugte es durch Funktionalität, einfache, exakt geprägte, aus der Konstruktion entwickelte Form und klare Gliederung, zum anderen durch ausgewogene Proportionen, spannungsreich eingesetzte Materialien sowie detaillierte Durcharbeitung.
Egon Eiermann schrieb 1951 in der Zeitschrift Baukunst und Werkform: »Es erscheint mir nicht nötig, daß man die Blumberger Weberei schön finde; es würde mich freuen, wenn man sie richtig findet. Denn viel zu viele Dinge, die zu[r] Form geführt haben, entstammen Überlegungen technischer Art. Aber sicher ist der Versuch, in allen Dingen richtig, das heißt folgerichtig zu sein, der Ausgangspunkt einer Übereinstimmung, die wir dann und am letzten Ende mit Harmonie, als einen Begriff des Schönen, bezeichnen.«
Birgit Nelissen
"Egon Eiermann 1904-1970. Die Kontinuität der Moderne", Hrg. Annemarie Jaeggi, Hatje Cantz: Ostfildern-Ruit, 2004, S. 151f.
Projektspezifische Angaben
- Egon Eiermann und Robert Hilgers, Architekten
- Lauffenmühle KG, Bauherr*in