saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau
Digitaler Katalog Egon Eiermann
Wohnhaus Hardenberg
1958-1960
Wohnhaus Hardenberg
Den Auftrag für dieses Gebäude nahm Egon Eiermann nicht ohne Zögern an, denn seit 1938 hatte er kein repräsentatives Wohnhaus mehr gebaut. Seine anfängliche Zurückhaltung erklärt sich, jedenfalls nach eigenem Vernehmen, aus dem sehr subjektiven Charakter der Bauaufgabe, die vom Baumeister eine intensive Auseinandersetzung mit der Privatsphäre des Bauherrn und dessen Familie verlange. Nach eingehenden Gesprächen mit Graf von Hardenberg und dessen Frau entstand das Entwurfskonzept eines im Prinzip eingeschossigen, ausgeprägt in der Horizontalen entwickelten T-förmigen Baukörpers mit relativ lang gestreckten schmalen Flügeln. Die verschiedenen Raumgruppen sind additiv gereiht und öffnen sich nach beiden Seiten in den Garten, sodass im heißen Baden-Badener Klima eine gute Durchlüftung aller Räume gewährleistet ist. Die zentralen Räume des Hauses nehmen die gesamte Flügelbreite ein.
Das Haus Hardenberg nutzt auf geschickte Weise das Grundstück und teilt es in drei Zonen auf: Die repräsentative Auffahrt, den durch begrünte Aufschüttungen intim gestalteten Wohnhof und den großen Spielhof mit Schwimmbad. Hier transponierte Eiermann seine konstruktiv-gestalterischen Erfahrungen und Entwicklungen früherer Projekte und ließ sie formal in das Gesamtkonzept eines großen Wohnhauses einfließen. So findet der durchgehende Balkonumgang in seiner Funktion als räumliche Zwischen- und Verbindungszone Anwendung, ein Element, das in den folgenden Verwaltungsbauten konstruktiv und gestalterisch variiert werden sollte. Weitergehend als etwa bei den Pavillonbauten in Brüssel waren hier die Umgänge neben dem gestalterischen Kalkül einer räumlichen Fassadenstruktur nicht nur Sonnenschutz, sondern auch Fluchtwege sowie Pfade der Fassadenreinigung und -wartung. Beim Haus Hardenberg ermöglichten sie darüber hinaus eine »grüne Hülle« aus Pflanzen im Abstand vor Fenstern und Außenwänden, die sich der Architekt als optischen und klimatischen Übergangsraum vorgestellt hatte. Diese zweite Haut sollte zwischen Natur und Architektur vermitteln, auch auf die Flachdächer wachsen, um »die Härte der gebauten Form aufzulösen«, zumal Haus und Grundstück von den umliegenden höheren Häusern aus eingesehen werden konnten. Die für Eiermann typische leichte Stahlrohrkonstruktion vor den Umgängen übernahm hier deshalb die Funktion eines Rankgitters.
Auch im Inneren zeigt sich die detaillierte Planung und Ausführung. Das Wohnhaus wurde weitgehend mit Möbeln des Architekten eingerichtet: Stühle, Betten, Tische, Garderobe und weitere Möbel sind vollständig erhalten. Auffallend sind die kreisrunden, polychromen Fliesenbeläge der Fußböden, die in ähnlicher Art in der Berliner Gedächtniskirche anzutreffen sind. Mit dem Haus Hardenberg schlug Egon Eiermann eine Brücke zu seinen Werken der dreißiger Jahre. Seine ersten, nicht in dieser Form ausgeführten Pläne zum Haus Vollberg in Berlin zeigten 1938 bereits einen T-förmigen Grundriss. Auch das Berliner Wohnhaus Steingroever von 1936/37 hatte diesen planerischen Grundgedanken variiert.
Clemens Kieser
"Egon Eiermann 1904-1970. Die Kontinuität der Moderne", Hrg. Annemarie Jaeggi, Hatje Cantz: Ostfildern-Ruit, 2004, S. 179f.
Projektspezifische Angaben
- Egon Eiermann und Georg Pollich, Architektur